Vor Jahren bezog ich zur Winterzeit einen Bauernhof in der Nähe von München und richtete dort ein Atelier ein. Im folgenden Jahr, als die Bäume ihr Laub ausgebreitet hatten, stellte ich fest, trotz großer Fenster war es im Atelier düster geworden. Eschenschösslinge, Holundergebüsch und mannshohe Brennnesseln hatten den angrenzenden Gemüsegarten bis zur Fensterfront überwuchert.
Mit Astschere und Motorsäge machte ich mich über die grüne Hölle her. Dabei entdeckte ich zwischen Brennnesseln und Herkulesstauden eine Blüte, die so gar nicht dort hin passte. Es war eine Rose mit feinem Duft und leuchtend zitronengelber Farbe. Ich folgte ihrem Trieb, der sich, lang wie eine Wagneroper ins Unterholz erstreckte, wo ihn die Reste seines Wurzelstockes gerade noch am Leben hielten. Tatsächlich verband nur noch ein kümmerlicher Trieb, die Pflanze mit der Außenwelt und dennoch trug sie eine Blüte. Es dauerte eine Weile, bis aus dem Dickicht wieder ein sonniger Garten wurde. Nun stand die Rose ganz verloren auf der neu geschaffenen...
Historische Rose
Malerei in Mischtechnik von Ernst Georg Stief
Maltechnik: Acryl bzw. Öl- Farben auf Holztafel, Format: 100
x 150 cm
Das Bild gehört in die Online-Galerie:
Mischtechik Malerei
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© Ernst Georg
Stief
...Fläche. Mit dem überlangen Trieb, der umständlich abgestützt werden musste, erinnerte sie an einen entlassen Gefangenen, der mit seiner Freiheit noch nichts anzufangen weiß. Ein Bekannter, den ich fragte, ob er nicht wisse, was das für eine Sorte sei, sagte ironisch, vielleicht Osteoporose. Niemand, den ich darauf ansprach, kannte diese Rose. Manche vermuteten, es wäre eine alte Sorte, eine historische Rose. Genaueres war nicht zu erfahren. Drei Jahre dauerte es, bis aus "Osteoporose" wieder ein brauchbarer Strauch geworden war. Nun hatte sie viele starke Triebe, die schon Mitte Mai anfingen zu blühen. Die Blüten waren schlicht und doch aristokratisch. Sie bestanden aus vergleichsweise wenigen Blütenblättern, aber jedes davon wirkte für sich grazil und schwerelos, fast wie ein Schmetterling. Es kam der Tag, da wollte ich sie malen. Ich zweifelte noch, ob es mir gelingen würde, das feine innere Leuchten dieser Blüten einzufangen, das von ihnen ausging, wenn die Morgensonne darauf fiel.
Ich malte das Bild in Mischtechnik (an anderer Stelle werde ich auf diese Maltechnik noch eingehen). Am Ende kam ein großformatiges Gemälde heraus mit genau der Wirkung, die ich angestrebt hatte. Darüber freute ich mich fast so wie über die Rose selbst. Jetzt hatte ich ein Bild von ihr, doch ihren Namen kannte ich noch immer nicht. Aber im Grunde war mir das nicht so wichtig. Mir genügte ihr Anblick, ihre unmittelbare Schönheit. Erst als ich das Bild ins Internet stellte und man mich vermehrt nach dem Namen fragte, ging ich der Sache nach. Doch ich fand die Rose nicht. Nicht im Botanischen Garten, in keinem Buch und bei keinem Gärtner. - Weiß jemand, wie diese sie heißt, oder wie ich den Namen herausfinden kann?
Das weitere Schicksal dieses Rosenstockes ist nicht sehr erbaulich. Vor einigen Jahren musste ich mich von dem Bauernhof trennen. Ich überlegte, ob ich die Rose mitnehmen sollte. Mit dem Spaten in der Hand stand ich vor ihr und war drauf und dran, sie auszugraben. Doch etwas hielt mich zurück. Sie stand nun schon so lange hier auf diesem sandigen Lehmboden. Vielleicht hatte sie den Platz sogar selbst gewählt, war schon als Same hierher gekommen. Sie hatte Jahre unter dem Dickicht ausgeharrt, mit einem einzigen Trieb und war wieder so stattlich geworden. Andererseits, wenn ich sie zurück ließ, würde sie wohl wieder verkommen. Es fiel mir schwer, letztlich ließ ich sie stehen. Hier war ihre Heimat. In keinem Boden würden sich ihre alten Wurzeln so zu Hause fühlen. Sie sollte weiter hier blühen bis zu ihrem letzten Sommer. Ich bat meine Nachfolger, die Rose zu verschonen. Von Zeit zu Zeit wollte ich vorbei kommen und verhindern, dass sie wieder im Dickicht versank.
Es war im Spätfrühling vor vier Jahren. Ich hatte in der Gegend zu tun und und auch vor die "historische Rose" besuchen, um zu sehen, wie sie den Winter vertragen hatte. Doch als ich dort ankam, gab es diesen Garten nicht mehr. Keine Eschen, keinen Holunder, keine Brennnesseln - keine Rose, alles weg. Ich kannte den Ort nicht wieder. Jetzt standen auf planiertem Kies Wohnwagen in Reih und Glied. Wo einst meine Rose blühte, war jetzt ein Wohnwagenabstellplatz. Ich sah mich in der Umgebung um, ob vielleicht doch jemand die Rose umgepflanzt hatte, bevor der Radlader kam. Nichts, Rosen überall, aber nur Baumarkthybriden. Von der zarten Schönheit keine Spur, ausgelöscht für immer. Nun gab es nichts mehr, was mich mit diesem Ort verband, außer der Erinnerung. Oft, wenn ich dieses Bild ansehe, denke ich an jene Tage im Mai als die Morgensonne mit diesen Blüten spielte - ihren Namen weiß ich bis heute nicht.
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